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Durch eigene Erlebnisse Schüler aufrütteln

Angespannte Erwartung lag in der Luft, als Polizeihauptkommissar Peter Béfort die Bühne betrat und die ca. 120 Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 11 (Q1) begrüßte, die sich im Pädagogischen Zentrum des Wittekind-Gymnasiums versammelt hatten. Er berichtete von der Schwierigkeit, einen Einstieg in diese Veranstaltung zu finden. Denn eigentlich habe er „keinen Bock mehr darauf“. Schließlich ginge es an diesem Morgen um viele Dinge, die er nicht mehr hören, nicht mehr erzählen möchte.

Anders als am Computer könne man eigene, schlimme Erlebnisse nicht einfach löschen, so Béfort weiter, der diese Ansicht mit den anderen Vortragenden teilte. „Aber wir tun das für euch, damit euch nicht das passiert, was wir hier heute zeigen.“, schloss der Polizeihauptkommissar seine Begrüßung und startete eine eindrückliche, aber zugleich beklemmende Präsentation.

Untermalt wurde sie von einem Song des Rappers Jo Riller, der darin ebenfalls eigene Erlebnisse verarbeitet. „Kannst du die Kreuze an den Bäumen sehen? Willst du so dein Leben beenden, die schönste Zeit deines Lebens verschwenden?“, sang der Berliner Musiker während Fotos von Unfällen in der Region mit völlig zerstörten Fahrzeugen gezeigt wurden. Schrecklich sich vorzustellen, was mit deren Insassen passiert ist. Die drastische Präsentation gehört zum Programm „Crash Kurs NRW Realität erfahren. Echt hart.“, das in Zusammenarbeit mit der für Suchtprävention zuständigen Lehrerin Andrea Wuttig kürzlich am Wittekind-Gymnasium umgesetzt wurde. Das Präventionsprojekt setzt darauf, Jugendliche durch authentische Bilder von Unfällen und Berichte betroffener Einsatzkräfte und Angehöriger emotional anzusprechen und aufzurütteln. So schilderten an diesem Vormittag Polizistin Ulrike Hoffmann, die Notärzte Kirsten Köster und Markus Fisahn, Sigrid Möller als Mutter eines Unfallopfers und Notfallseelsorger Daniel Brüll sowie als Moderator Polizeihauptkommissar Peter Béfort ihre persönlichen Erlebnisse. Ganz bewusst hatten sie Unfälle mit jugendlichen Opfern, einige davon Fahranfänger, ausgewählt.
Zunächst berichtete Polizistin Ulrike Hoffmann von der Aufnahme eines Unfalls mit einer 19jährigen Schwerverletzten, die in einer langen Linkskurve mit ihrem Fahrzeug vor einen Baum geprallt war. Nachdem die Verletzte aus dem völlig zerstörten Wagen geborgen und mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus gebracht worden war, begann für sie die polizeiliche Arbeit, so Hoffmann. Neben der Handtasche des Unfallopfers befand sich das Handy der Fahrerin, das unentwegt klingelte. Offensichtlich hatte die junge Frau kurz vor dem Unfall telefoniert und der Kontakt war durch den Aufprall abgebrochen. „Ein Blick auf’s Handy entspricht bei 50 Stundenkilometern 14m Blindflug.“, erläuterte die Polizistin den Schülern eine mögliche Unfallursache und fuhr fort: „Ich möchte nie euren Unfall aufnehmen und mit der schlimmen Nachricht zu euren Eltern fahren müssen.“
Notärztin Kirsten Köster, die selbst Kinder Alter der anwesenden Jugendlichen hat, arbeitet seit 20 Jahren als Notärztin im Lübbecker Krankenhaus. Schwere Unfälle, wie der, über den sie den Schülern berichtete, sind für sie dennoch alles andere als Routine. Der Einsatz, den sie beschrieb, fand an einem frühen Januarmorgen statt. Zwei Fahrzeuge waren in den Unfall mit insgesamt drei Verletzten verwickelt. Der Fahrer eines der beiden Unfallfahrzeuge war im Wagen eingeklemmt und musste von der Feuerwehr herausgeholt werden. Im Krankenhaus wurden zahlreiche Knochenbrüche im Becken- und Oberschenkelbereich festgestellt. Der kleine Fahrfehler, für den Bruchteil einer Sekunde zu schnell gewesen zu sein, führte dazu, dass der junge Mann heute nach 25 Operationen nicht mehr laufen und seinen Beruf nicht mehr ausüben kann. „Fahrt vorsichtig!“ war die Botschaft, die Kirsten Köster an die Schüler und Schülerinnen weitergab.
Notarzt Markus Fisahn erinnerte sich an einen Unfall, bei dem ein junger Mann ums Leben kam. „Er starb in meinen Händen.“, so der Mediziner. Dabei vertrat er die Ansicht, nicht der Tod sei sein Feind, der könne sogar eine Erlösung sein und gehöre zum Leben. Vielmehr belaste der Unfall selbst. Dieser sei völlig unsinnig. „So etwas wollen wir alle nicht mehr sehen.“, schloss der Mediziner.
Sigrid Möller stellte dar, wie sich durch den Unfall ihres Sohnes das Leben der ganzen Familie schlagartig verändert hat. Der junge Mann hatte mit Freunden ausgiebig seinen Geburtstag gefeiert und sich anschließend noch an das Steuer seines nagelneuen Autos gesetzt. Bei der Spritztour kam es zu einem schweren Unfall. Mitten in der Nacht wurde die Mutter von der Polizei geweckt und zu ihrem schwerverletzten Sohn ins Krankenhaus gebracht. Der anfängliche Verdacht auf eine Gehirnblutung erwies sich zum Glück als Gehirnerschütterung. Hinzu kamen schwere Prellungen. Die schlimmste Unfallfolge aber war und ist, dass der junge Mann die Erinnerung an das Unfallgeschehen komplett verloren hat. Dies belastet seither die Familie. „Das, was wir erlebt haben, soll keiner jemals erleben. Das kann man nicht vergessen, das bleibt.“ gab sie den anwesenden Jugendlichen mit auf den Weg.
Pfarrer Daniel Brüll beschrieb seinen Einsatz als Notfallseelsorger mit den Worten: „Wir werden tätig, wenn die Rettungskräfte abrücken, wenn es leise wird. Angesichts des Leides kommt oft der Wunsch auf, die Zeit zurückdrehen zu wollen.“ Brüll hat schon viele Unfälle seelsorgerisch begleitet. Meist seien sie vermeidbar gewesen und nur durch Dummheit entstanden. Er berichtete von einer Begegnung mit einem jungen Unfallverursacher. Dieser hatte aus purem Leichtsinn ein Blaulicht auf seinem Kleinwagen montiert und versucht einen größeren PKW zu überholen. Das Manöver misslang und beide Fahrzeuge wurden schwer beschädigt. Im PKW starben vier Geschwister, der Unfallverursacher überlebte schwerverletzt. Brüll besuchte ihn im Krankenhaus. Der junge Mann hatte nun nicht nur ein Gerichtsverfahren vor sich, sondern er musste mit der Schuld leben, einer Familie vier Kinder genommen zu haben. Der Pfarrer fasste seinen Umgang mit der Situation des Unfallfahrers in die Worte „Wir können die Uhr nicht zurückdrehen, aber wir können Schuld, Trauer und Angst im Gebet vor Gott bringen.“ Direkt an die Schüler gewandt sagte er: „Angesichts der geschilderten Begebenheiten sollten wir auch nicht vergessen Gott zu danken, wenn wir heil nach Hause gekommen sind.“ und schloss seine Ausführungen mit einem gemeinsamen Gebet.
Schließlich schilderte Polizeihauptkommissar Peter Béfort aus eigener Erfahrung, wie es Eltern geht, wenn ihr Sohn oder ihre Tochter nicht zur verabredeten Zeit nach Hause kommt. Er richtete den dringenden Appell an die Jugendlichen: „Meldet euch zuhause, wenn es einmal später wird. Eine SMS ist schnell geschrieben und kann manche Sorge in Grenzen halten.“
Im Anschluss diskutierten die sichtlich betroffenen Schüler und Schülerinnen noch einige Zeit über das Gehörte und es steht zu hoffen, dass die authentischen Berichte und drastischen Bilder ihre Wirkung nicht verfehlen und dazu beitragen, die Zahl der schweren Unfälle mit jungen Fahrern zu reduzieren.