Das Präventionsprogramm „Crash Kurs NRW“ im Wittekind-Gymnasium
„Einen schönen, guten Morgen,“ wünschte Polizeihauptkommissar Peter Béfort den ca. 120 Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 11 (Q1), die sich im Pädagogischen Zentrum des Wittekind-Gymnasiums versammelt hatten. „Aber in Wirklichkeit ist dieser Morgen nicht schön,“ fährt er fort, nicht allein, dass sich seine Aufgaben als Polizist durch die Ereignisse in der Welt und in unserem Land verändert hätten, auch die Unfälle, die er als Polizist aufzunehmen habe, verliefen nicht immer glimpflich.

Béfort sprach die emotionale Belastung offen an, die zum Beispiel beim Überbringen einer Todesnachricht vor allem junger Unfallopfer entsteht. „Dies wünsche ich niemandem. Und damit es nicht passiert sind wir heute hier. Denn ihr seid uns wichtig und sollt heil nach Hause kommen,“ machte er den Gymnasiasten deutlich und erklärte ihnen, dass alles, was sie in den kommenden 70 Minuten sehen würden, echte Bilder von tatsächlichen Unfällen seien.
Eigene Erfahrungen hat auch der Rapper Jo Riller in seinem Song verarbeitet, der die nun folgende Powerpoint-Präsentation untermalte. „Kannst du die Kreuze an den Bäumen sehen..“ singt der Berliner Musiker, „Willst du so dein Leben beenden, die schönste Zeit deines Lebens verschwenden...“, dazu Fotos von Unfällen in der Region mit völlig zerstörten Fahrzeugen; schrecklich sich vorzustellen, was mit deren Insassen passiert ist. Die drastische Präsentation gehört zum Programm „Crash Kurs NRW Realität erfahren. Echt hart.“, das in Zusammenarbeit mit der für Suchtprävention zuständigen Lehrerin Andrea Wuttig Anfang Februar am Wittekind-Gymnasium umgesetzt wurde. Das Präventionsprojekt setzt darauf, Jugendliche durch authentische Bilder von Unfällen und Berichte betroffener Einsatzkräfte emotional anzusprechen und aufzurütteln. So schilderten an diesem Vormittag Polizeioberkommissar Guido Bulk, Rettungssanitäter Marcus Pansing, Notärztin Kirsten Köster, Ivonne Schwarz, die einen schweren Unfall nur knapp überlebt hat und Notfallseelsorger Christoph Ruffer sowie als Moderator Polizeihauptkommissar Peter Béfort ihre persönlichen Erlebnisse. Ganz bewusst hatten sie Unfälle mit jugendlichen Opfern, einige davon Fahranfänger, ausgewählt.
Eine besonders schmerzliche Aufgabe im Berufsalltag eines Polizisten, ist es, so beginnt Polizeioberkommissar Guido Bulk seinen Bericht, Eltern die Todesnachricht ihres Kindes zu überbringen. Auch er hat schon solche Situationen erlebt: „Ich wäre am liebsten geflüchtet, als ich der Mutter die traurige Gewissheit vom Tod ihres Jungen mitteilen musste.“ Er erzählte von einem 19jährigen Jugendlichen aus Stemwede, der nach einem Überholmanöver ins Schleudern geraten und an einen Baum geprallt war. Er verstarb auf dem Transport in eine Hannoveraner Klinik. Die Unfallursache, möglicherweise überhöhte Geschwindigkeit, konnte nie geklärt werden „Anders als zum Beispiel eine schlechte Note in Mathe können schon kleine Fehler im Straßenverkehr meist nicht ausgeglichen werden, besonders wenn hohe Geschwindigkeit mit im Spiel ist.“ brachte Bulk die Hauptaussage des „Crash Kurs NRW“ auf den Punkt: Die meisten Unfälle beruhen auf Missachtung von Regeln durch die Verkehrsteilnehmer. Rettungssanitäter Marcus Pansing schilderte seinen Einsatz bei einem Unfall in Gestringen. Zwei Personen waren in einem Auto eingeklemmt. Während für den Beifahrer jede Hilfe zu spät kam, konnte der verletzte Fahrer mit aufwändigen Maßnahmen gerettet werden. Allerdings mussten ihm beide Beine verkürzt werden. Pansing sprach die Jugendlichen direkt an: „Wir haben die Bilder erlebt, die ihr gesehen habt.“
Notärztin Kirsten Köster, die selbst Kinder Alter der anwesenden Jugendlichen hat, arbeitet seit 20 Jahren als Notärztin im Lübbecker Krankenhaus. Schwere Unfälle, wie der, über den sie den Schülern berichtete sind für sie dennoch alles andere als Routine. Der Einsatz zwischen Alswede und Fiestel fand an einem frühen Januarmorgen statt. Zwei Fahrzeuge waren in den Unfall mit insgesamt drei Verletzten verwickelt. Der Fahrer eines der beiden Unfallfahrzeuge war im Wagen eingeklemmt und musste von der Feuerwehr herausgeholt werden. Im Krankenhaus wurden zahlreiche Knochenbrüche im Becken- und Oberschenkelbereich festgestellt. Der kleine Fahrfehler, für den Bruchteil einer Sekunde zu schnell gewesen zu sein, führte dazu, dass der junge Mann heute nach 25 Operationen nicht mehr laufen und seinen Beruf nicht mehr ausüben kann. „Fahrt vorsichtig!“ war die Botschaft, die Kirsten Köster an die Schüler und Schülerinnen weitergab.
Vor elf Jahren wurde Ivonne Schwarz aus Petershagen, die erst seit Kurzem im „Crash-Kurs-Team“ mitarbeitet und zum ersten Mal im Wittekind-Gymnasium dabei ist, selbst Opfer eines schweren Unfalls. Sie hatte damals seit genau einem Jahr den Führerschein und war zusammen mit ihrem Bruder auf dem Heimweg von einem Ausflug zu einer Flugschau in Minden, als sie etwa 100 m vor ihrem Elternhaus auf regennasser Straße ins Schleudern geriet. Während der Bruder nahezu unverletzt blieb, wurde die junge Frau bewusstlos mit schwersten Schädel-Hirn-Verletzungen vom Hubschrauber Christoph 13 ins Krankenhaus geflogen. „Dass mein Traum von einem Hubschrauberflug auf diese Weise in Erfüllung geht, wollte ich garantiert nicht.“, bemerkt sie heute. Die Ärzte gaben den Angehörigen die niederschmetternde Prognose, Ivonne werde nie wieder gesund. Nach zwei Wochen erwachte sie jedoch aus dem Koma. Danach ging es in kleinen Schritten immer weiter bergauf. In der Neurologischen Klinik in Hessisch Oldendorf musste die junge Frau alles vom Laufen über das Sprechen bis hin zum Schreiben und Lesen neu lernen. Am Ende war sie soweit wieder genesen, dass sie sogar eine zweistündige Fahrprobe bewältigen konnte. Nach einer kurzen betreuten Zeit, kann sie heute wieder selbständig leben. „Fahrt bitte vorsichtig“, war auch ihr eindringlicher Appell an die jungen Fahrer, „damit ihr nicht dasselbe durchmachen müsst wie ich oder es sogar noch schlimmer kommt.“
Notfallseelsorger Christoph Ruffer, der zugleich als Gemeindepfarrer in Minden tätig ist, berichtet von einem Einsatz in Ovenstädt, bei dem er Mitglieder der Jugendfeuerwehr betreuen musste. Sie hatten bei einem Unfall ihren Freund Manuel verloren, der vor den Augen seines Zwillingsbruders und weiterer „Kumpels“ durch ein außer Kontrolle geratenes Überholmanöver mit dem Auto vor einen Baum geprallt und noch an der Unfallstelle verstorben war. Wichtig in dieser von Betroffenheit und lähmendem Entsetzen regierten Situation, sei es gewesen, so der Pfarrer, den Jugendlichen durch Anwesenheit und aufmerksames Zuhören zu zeigen, dass sie in ihrer Trauer nicht allein sind. Allerdings, so gibt er offen zu, würde Christoph Ruffer gern auf derartige Einsätze verzichten. Für ihn als Christen und Pfarrer ist das Kreuz normalerweise ein Zeichen des Trostes und der Hoffnung, dass es weitergeht und das Leben nicht verloren ist. Das Kreuz, das heute den Baum kennzeichnet, der Manuel zum Verhängnis wurde, steht jedoch allein für dessen Tod. Daher forderte auch der Notfallseelsorger die Schüler und Schülerinnen auf: „Fahrt vorsichtig!“
Schließlich schilderte Polizeihauptkommissar Peter Béfort aus eigener Erfahrung, wie es Eltern geht, wenn ihr Sohn oder ihre Tochter nicht zur verabredeten Zeit nach Hause kommt. Er richtete den dringenden Appell an die Jugendlichen: „Meldet euch zuhause, wenn es einmal später wird. Eine SMS ist schnell geschrieben und kann manche Sorge in Grenzen halten.“
Im Anschluss diskutierten die sichtlich betroffenen Schüler und Schülerinnen noch einige Zeit über das Gehörte und es steht zu hoffen, dass die authentischen Berichte und drastischen Bilder ihre Wirkung nicht verfehlen und dazu beitragen, die Zahl der schweren Unfälle mit jungen Fahrern zu reduzieren.